Manchmal bereut man es schon, wenn man auf der Suche nach zweirädrigen Schätzen irgendwie in der falschen Stadt wohnt. Eine Kleinanzeige nach dem Motto: „Student sucht…“ bringt da durchaus ab und an mal einen kleinen Diamant zum Vorschein, der eigentlich nur noch geputzt werden muss.
„Diamant, Diamant – im Ausland wird es Schrott genannt“
Zugegeben, die Überschrift ist nicht fair.
Unter dem Namen „Diamant“ baute man in der DDR sehr tolle und äußerst solide Räder. Und das alles in Zeiten problematischer Materialversorgung und gleichzeitig stetig wachsenden Produktionsvorgaben. Dies ließ sich in den frühen 60ern offensichtlich noch halbwegs regeln. Die Fahrräder aus den Werken in Karl-Marx-Stadt (Chemnitz) wurden auf hohem Niveau produziert und deshalb hat dieser Schatz hier überlebt.
Auf eine aufgegebene Kleinanzeige nach obigem Schema, meldete sich eine Frau und bot mir ein altes Herrenrad an. Es sei alt aber fahrbereit und sogar mit Licht. Ein Bild kam per Mail und schon wechselten schlanke 20 Euronen den Besitzer. Die Probefahrt (nach dem Kauf) quer durch die Stadt zeigte, dass hier ein richtig „geiles“ Rad gefunden wurde. Es fuhr, trotz einer ziemlichen 16 im Hinterrad, hervorragend, schnell und überaus leichtgängig. Die Übersetzung der Diamanträder war sowieso recht gut. Schon zu DDR-Zeiten unternahm ich als Jugendlicher Touren von 35 und 50 km zu den Großeltern. Ganz ohne Gangschaltung. Heute nochmals 50 km damit auf Tour gehen? Wohl eher nicht. Dazu hat mich die Ergonomie und Technologie der letzten Jahre doch zu sehr verwöhnt. Doch eigentlich sollte man das wieder mal machen, auch wenn die Knochen inzwischen gut 25 Jahre älter sind.
Ergonomie – tolles Stichwort für ein Rad, wo der Begriff selbst wohl in keinster Weise in die Produktion eingeflossen ist. Weder beim Rad noch bei seinen Herstellern. Man sitzt irgendwie, tja wie eigentlich?
Es hat etwas von Hollandrad. Der kurze Lenkervorbau und die nach vorn stehenden Gabelenden bringen ein sehr eigenartiges Fahrverhalten zu Tage. Komisch aber durchaus steuerbar.
Eine Bestandsaufnahme und Recherche zeigte eine gute Basis. Der Stahlrohrrahmen war definitiv nicht das schwerste am Rad. Breite Stahlfelgen, ein originales Glockenlager und Anbauteile brachten die Gesamtkonstruktion aber auch nur auf „nur“ 17,2 Kilogramm.
Auf Grund guter Quellen im Internet, konnte das Baujahr des Rades sogar recht deutlich auf das Jahr 1961 beziffert werden. Also ist das Gerät nunmehr über 54 Jahre alt. Ein Auto überlebt selten über diese Zeit und von den neumodischen Rädern beim Freundlichen Fachhändler dürfte wohl auch eher kaum eines so alt werden. In der Bestandsaufnahme zeigte sich, dass das Rad zwar verkehrssicher war, die Anbauteile aber teilweise aus jüngerer DDR-Produktion stammten. Der Sattel fand erst in den 80ern Verwendung und auch die Leuchten waren nicht original. Überraschend gut bremst es sich übrigens mit einer Stempelbremse, die noch mit Gestänge betätigt wird. Hinterradnabe und Tretlager besitzen Nippel mit Deckel für einen gewissen Vorrat an Schmiermittel.
Der Zahn der Zeit hat an allen Teilen gut genagt. Das ist schon eher die Kategorie Schaden statt Patina. Interessant sieht das Ausfallende aus. Mit klassischem Kettenspanner für ein straffes Antriebsband. Der Gepäckträger aus volumigem Blechstäben hat auch schon gelitten.
Der Chrom des Lenkers und der Sattelstange wurde wieder sichtbar, als sich ein Scheuerschwamm darüber hermachte. Die Originallackierung ist leider nur noch erahnbar. Nachlackierungen der letzten 50 Jahre waren eher Nachstreichungen. Einige Speichen müssen neu und der Rest des Drahtgeflechts muss mal nachgespannt und entrostet werden.
Schleifarbeiten an so einem Rahmen machen allerdings keinen Spaß. Der Lack ist uralt und so hart auf dem Metall, dass man gerne auf elektromechanische oder chemische Hilfsmittel zurückgreifen möchte.
Macht es Sinn, so ein Rad aufzubauen, oder einfach so zu erhalten, zu benutzen und der Zeit mit der normalen Pflege für den Tagesbetrieb zu überlassen?
Dekore und Ersatzteile bekäme man noch im Internet. Die Arbeit rechnet sich auf keinen Fall. Die Erhaltung hingegen schon. So als Stadtrad. Unkaputtbar und trotzdem schnell.
Wenn Ihr also mal beim örtlichen Gebrauchtwarenhöker so etwas zu einem akzeptablen Preis (bis max. 80,-€) findet und noch Platz im Keller habt, einfach mal zugreifen. Für den Schrott ist sowas auf jeden Fall zu Schade und es belohnt jedenfalls im Stadtverkehr mit sehr angenehmen Fahreigenschaften.
Inzwischen hat dieses Stück Fahrradhistorie einige hundert Kilometer mehr auf den Reifen und es überzeugt noch immer. Keine Gangschaltung, Rücktrittbremse nebst ruppelnder Stempelbremse vorne und bei gegebener Notwendigkeit das Licht mit einem schweren Seitenläuferdynamo angetrieben – puristischer geht es kaum.
Fazit:
Ein gut erhaltener Fahrradklassiker lohnt sich auf jeden Fall und rollt und rollt und rollt.