Die Niederlande werden in Fahrradportalen, bei Radinitiativen und in der Politik immer hoch gelobt. Doch auch bei den Oranjes ist längst nicht alles Gold, was glänzt. Wir zeigen Euch die Highlights und Probleme einiger Städte im Umgang mit dem Thema Rad.
Radfahrer schaffen Probleme – Die niederländische Lösung
Die Liebe zum Fahrrad geht in keinem anderem Land in Europa so weit, wie in den Niederlanden. Wir kennen die Bilder von tausenden Fahrrädern an den Zäunen der Grachten und Brücken. Entspannte Leute in Cafes und daneben deren Räder, Lastenräder mit lachenden Kindern und so weiter und so fort. Doch es gibt auch eine Schattenseite, auf die wir mit diesem Artikel auch die Städte- und Kommunalplaner hinweisen wollen. Die Logik ist ganz einfach. Viele Räder schaffen auch viele Probleme.
Mehr als 40% der Einwohner in Großstädten der Niederlande nutzen das Rad für alle Fahrten täglich. Ein 4-Personen-Haushalt in den Niederlanden hat im Schnitt 6 Fahrräder. Das ist eine beachtliche und nicht zu übertreffende Zahl in Europa. Der Grund ist eigentlich recht simpel. Die Städte sind überwiegend alte Handelsstädte des Mittelalters und entsprechend historisch bebaut. Enge Straßen und Gassen, dazu die Besonderheiten der Grachten und die Brücken in den Niederlanden. Für Autos, die es nun ja auch schon seit 130 Jahren gibt, war schon damals kein Platz. Also blieb im Grunde nur das Rad als Alternative übrig.
Innovation Nr. 1 sind natürlich die Radwege. Das ist keine Kunst, wenn aus vorgenannten Gründen die verkehrspolitischen Innovationen und Fortschritte auf die bzw. an der „Alternative“ ausprobieren und anwenden muss. Die Universitätsstadt Groningen verwöhnt seine Radler seit einiger Zeit mit Ampelschaltungen für Radfahrer, die bei Regenwetter eine längere Grünphase zeigen und sich der ganze Kreuzungsschaltungsalgorhythmus (geiles Wort) an die Wetterlage anpasst. Zuständig ist dafür ein Handtellergroßer Regensensor auf den Ampeln, der der Elektronik der Ampel entsprechend anpasst. Aber nicht nur die Grünphase in der gewünschten Richtung wird für Radfahrer verlängert, auch die Wartephasen werden gleichzeitig verkürzt. Nun ist Groningen aber auch eine Universtitätsstadt und entsprechend viele junge Leute mit Rad unterwegs. Man kennt das ja auch von Osnabrück, Kiel oder Greifswald. Die Stadtverwaltung will den Anteil der Radler im Verkehr aber weiter erhöhen. Mehr als 61% sind es bereits. Stellt sich fast schon die Frage, gibt es in Groningen bald gar keine Autos mehr?
Breite Radwege mit grüner oder roter Kennzeichnung sind ein einzigartiges Netz und bringen Touristen und Einheimische schnell von A nach B. Natürlich sind sie breit. In den Augen der Autofahrer allerdings leider zu schmal für eine Autospur. Daher gab es in den Niederlanden auch so lustige Autoerfindungen wie der DAF 66 – später Volvo 66. (Ich hatte selbst mal mehrere Modelle davon.) Die Fahrzeuge waren inkl. Außenspiegel nur 120cm breit. Sie durften zwar nicht auf Radwegen fahren, waren aber für die engen Städte ideal und trotzdem sehr geräumig.
Autofahrer sind es auch, die nicht gerade erfreut sind, dass Amsterdam gerade in den nächsten Jahren weitere 200 Millionen Euro in den Ausbau der Fahrradinfrastruktur pumpen will. Darunter werden frostsichere – sprich beheizbare – Radwege, neue Ampeln und dringend benötigte Fahrradabstellanlagen sein. Beheizte Radwege? Ja, wie geil ist das denn? Ähnliches gibt es auch schon als sogenannte „Solar-Radwege“ an vielen Orten in den Niederlanden und in Skandinavien. Diese sind an vielen Stellen auf längerer Strecke überdacht und mit Solaranlagen ausgerüstet, welche die Beleuchtung des Radweges in der Dunkelheit realisieren.
Dieser Ausbau bedeutet aber auch, dass Stellflächen für weitere 40.000(!!!) Autos in Amsterdam in den nächsten 3-5 Jahren verloren gehen. Parkplätze werden zu Fahrradparkhäusern und Park-Seitenstreifen zu weiteren Radspuren. Bleiben wir mal bei Groningen. Die Stadt will die Fahrradabstellmöglichkeiten hier in den nächsten Jahren verdoppeln. Es wird für Autofahrer in Amsterdam und anderswo demnächst wohl noch viel enger, als es jetzt schon ist. Abstellmöglichkeiten, die nicht nur die üblichen Anforderungen an Platz, sondern auch ein hohes Maß an Sicherheit für Radfahrer und Fahrräder mitbringen, werden das Hauptproblem, wenn Städte fahrradfreundlicher werden wollen. Mit einem Fahrradständer oder einer Reihe Radbügeln ist es nicht an jeder Stelle getan.
Zur Masse an Rädern im Straßenverkehr kommt zusätzlich ein recht problematisches Verhalten der Radler, welches nicht nur in Amsterdam, Kopenhagen oder Münster zu beobachten ist. Sie sind in der Überzahl – und benehmen sich auch so. Ein ganz normales menschliches Verhalten. 9 Menschen – 3 schwarz, 3 weiss und 3 asiatischer Herkunft werden als Gruppe hervorragend zusammenarbeiten können. Verändert man die Konstellation, wird die überwiegende Gruppe schnell versuchen, der kleinsten Gruppe Vorschriften machen zu wollen. Genau das passiert auch mit Radlern. Hier ist es der Verkehr, wo die überwiegenden Radler die Macht ausspielen. Das überfahren roter Ampeln in Holland oder Dänemark ist per Gesetz zwar verboten, doch quasi schon fast legal, da es jeder macht. Wenn dann mal etwas passiert, meist in Form einer Kollision, ist dann auch immer der Autofahrer schuld. Schon jetzt ist man in den Niederlanden vor dem Verkehrsgericht als Autofahrer grundsätzlich schlechter gestellt, wenn es um einen Unfall mit einem Fahrradfahrer geht.
Der allgemeine Boom des Fahrrades in Europa, der Boom am speziellen Lebensstil mit Rad in den Niederlanden (und auch in Dänemark) sorgt hier aber eben auch für enorme Kosten. Sicher ist dass alles eine Investition in eine umweltfreundliche Zukunft. Er schafft auch in vielen anderen Städten der Welt Trends und Initiativen für das Rad und verursacht dort auch gleichermaßen Kosten, die wiederum in ganz neue Wirtschaftszweige fließen. Erstmal bauen wir überall alles fahrradfreundlich. Nehmen den Verkehrsbau für Autos – so es die Autolobby mal zulässt – zurück und schaffen Fahrradampeln, Radbrücken und vieles mehr für Millionen von Euro. Sind in 20 bis 40 Jahren fast keine Autos mehr auf der Straße, ist die ganze Bauerei wieder für die Katz. Wozu dann Fahrradampeln, wenn nur noch Lieferdienste, Post und Polizei motorisiert unterwegs sind? Braucht man also nicht mehr. Rückbau und Erweiterung ist dann angesagt.
Das Fahrrad ist ein Wirtschaftsfaktor geworden, welcher weit über den Local-Bike-Shop hinausgeht und Ampeln wurden übrigens mal erfunden, um den Kreuzungsverkehr von Kutschen zu regeln. Auch diese werden wir in absehbarer Zeit nicht mehr benötigen. Es ist wirklich nur eine Frage der Zeit. Die auftretenden Probleme werden Städte mit Vorreiterrollen und einem gut 40jährigen Erfahrungsvorsprung lösen und lösen müssen.
Innovationen in dem Bereich sind immer gerne gesehen und Investitionen können schon im kleinen viel bewirken. Wenn sich ein Arbeitgeber dazu entschließt, einen oder gar zwei Stellplätze auf dem Hof für Fahrräder sicher zu machen und mal 5000 Euro für eine sichere Fahrradbox für Mitarbeiter in die Hand nimmt, werden wohl gleich ein paar mehr Stellplätze leer bleiben und Mitarbeiter der Firma mit dem Rad kommen.
Fotos: fietsmarktplein.nl